Hier geht es zurück Angies Welt
Frank sieht seine Frau schweigend an. Nichts! Nicht eine Spur ist in ihren Gesichtszügen von dem zu sehen, was sie vor wenigen Sekunden sagte. Ihre Augen strahlten wie immer und ihr Mund hatte immer noch dieses Lächeln, dass er so sehr an ihr mochte.
"Damit macht man keine Scherze Melanie" Unverwandt sah er sie an. Während sie energisch den Kopf schüttelte, rannen ihr Tränen übers Gesicht.
"Nein Frank, damit spaßt man nicht, da hast du recht." Sie nahm seine Hand, streichelte sie sanft und sah Frank mit flehenden Augen an.
Einige Sekunden, oder waren es Minuten , herrschte Stille.
"Was hat der Arzt genau gesagt? Ich verstehe das nicht! Wieso weiß niemand was das für eine Krankheit ist ? Und warum gerade Du?"
Melanie griff zur Zigarettenschachtel. Normalerweise rauchte sie nicht. Nur in besonderen Situationen. So, wie in dieser.
"Warum gerade ich?" - Schweigen - "Das kann ich dir nicht sagen.
Die Ärzte wissen nicht genau, was das für eine Krankheit ist. Sie wissen nur, dass sie schnell voranschreitet." 
"Wie schnell?" Auch Frank war nun den Tränen nahe. 
"Ein bis zwei Monate."
Melanie umschloss die Hand ihres Mannes etwas fester. Sie suchte Trost, aber sie wusste auch, dass sie Frank trösten sollte, der nun hemmungslos zu weinen begann.

Es war eine laue Sommernacht. Frank stand am Fenster und blickte zum sternenklaren Himmel. Wie oft hat er hier mit Melanie gestanden und den Sternen einen Namen gegeben. Das alles sollte nun bald für immer vorbei sei.
Er schaute zu dem Doppelbett hinüber, konnte in dem spärlichen Licht die Umrisse der Gestalt seiner Frau erkennen. Der abgemagerte Körper war nur noch Haut und Knochen.
Frank schluckte den Kloß hinunter, der ihm im Hals zu stecken schien. Er wusste, dass es bald zu Ende geht .Und er wusste auch, dass es für sie beide besser war. Dann hatte ihr Leiden ein Ende. Eine Zukunft gab es nicht mehr, nur noch eine Vergangenheit.
Frank schwor sich, Melanie nie zu vergessen. Sie sollte immer bei ihm sein und wenn es nur in seinen Gedanken war.
"Frank?" Ihr schwache Stimme drang nur leise, wie aus weiter Ferne an sein Ohr.
"Frank!"
Wie lange mag sie schon seinen Namen rufen. Schnell eilte er an ihr Bett, nahm ihre Hand, die sich kalt anfühlte. So als ob....
"Frank!" Melanie richtete sich auf und versuchte ihren Mann fest in die Augen zu sehen.
"Frank! Es ist jetzt bald vorbei. Bitte, nimm mich noch einmal fest in deine Arme."
Vorsichtig legte Frank die Arme um ihren Körper, drückt sie vorsichtig an sich. Er achtete darauf ihr nicht weh zutun. Eine Zeitlang lag sie reglos in seinen Armen, richtete sich  dann aber wieder auf. Ihre Lippen waren nun ganz nah an seinem Ohr, während sie leise flüsterte.
"Frank, hör mir gut zu. Ich habe nicht mehr viel Zeit. Unterbrich mich bitte nicht und vergiss nie, was ich dir jetzt sage."
Wieder entstand eine Pause, in der Melanie noch einmal alle Kräfte zu sammeln schien.
"Frank, es gibt Engel. Nicht solche, wie wir sie von den Bildern kennen. Nein, sie sehen etwas anders aus."
Es dauerte einige Sekunde, ehe Melanie weitersprach.
"Ich habe mehr gesehen als du oder alle anderen. Ihr, die ihr noch weiter leben dürft. Ich war schon weiter in der ..... in der Unendlichkeit. Und ich weiß, dass ich immer bei dir sein werde, auch wenn du denkst du hast mich verloren. Ich werde immer da sein, Frank. Bitte lach mich nicht aus, hörst du! Und vergiss nie was ich dir gesagt habe."
Melanies Körper begann zu zittern und Frank spürte wie sie immer kraftloser in seinen Armen wurde. Zum ersten mal, seit er sich zu ihr gesetzt hatte, sah er sein Frau ins Gesicht und er sah, dass sie sich immer weiter entfernte. Ihr Augen waren ohne Glanz und es schien, als sei sie dieser Welt schon entrückt.
Melanie schloss die Augen und Frank versuchte sie vorsichtig  in die Kissen zu lege, doch mit allerletzter Kraft klammerte sie sich an seine Schultern, öffnete noch einmal die Augen und ihre Stimme war so klar und fest wie früher.
"Frank! Vergiss nicht was ich dir sagte. Bitte warte auf mich bis ich dich rufe."
Ganz sacht ließ sie sich zurück auf Bett fallen und schloss die Augen. Für immer!
Eine Zeitlang saß Frank noch an ihrem Bett. Unfähig zu begreifen, dass es vorbei war. Das es "seine Melanie" nicht mehr gab. Ihre letzten Worte klangen noch immer in seinen Ohren.
"Schön wär's  Melanie, wenn es wirklich so wäre."
Sanft strich er ihr noch einmal übers Gesicht. Gab ihr einen letzten Kuss und verließ den Raum um zu telefonieren. Er fühlte die Tränen heiß über seine Wangen rinnen.

Wieder einmal  stand Frank an Melanies Grab. Einen  Strauß roter Rosen in der Hand haltend, starte er die Gestalt an die plötzlich vor ihm stand. Er fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht, schüttelte heftig den Kopf und schloss die Augen. Nach wenigen Sekunden öffnete er sie wieder, atmete ganz tief durch  und war sich sicher, dass der Spuk zu Ende sei.
Nein! Sie stand immer noch da, griff nun sogar zu den Rosen und nahm sie an sich. Zärtlich streichelte sie die Hand, die zuvor die Blumen hielt.
"Fast jeden Tag kommst du bringst mir Rosen. Schau nur wie viele es sind."
Melanie beugte sich hinunter zu ihrem Grab und legte den frischen Strauß Rosen zu den anderen.
"Was siehst du mich so an ? Ich sagte dir doch ich werde immer bei dir sein. Aber jetzt muss ich wieder gehen."
Mit einem strahlenden Lächeln im Gesicht kam sie auf ihn zu.
"Komm heute Abend  wieder hier her. Ich habe solche Sehnsucht nach dir."
Frank war unfähig zu antworten. Er sah nur noch, wie die Erscheinung zum Grabstein eilte und sich auflöste.
"Nun, ja. Das ist wohl normal, wenn man erst vor kurzer Zeit einen geliebten Menschen verloren hat", dachte Frank und verließ nachdenklich den Friedhof.
Am Ausgang angelangt, schaute er auf seine Hand, die vor wenigen Minuten den Rosenstrauß hielten. Wann, hatte er die Blumen eigentlich auf das Grab gelegt?
Er wusste es nicht mehr.

"Konrad! Konrad jetzt lass doch mal den Fernseher. Schau doch, da ist er wieder!"
Maria schob die Gardine zur Seite. Sie hoffte immer noch, einmal das Gesicht des Mannes zu sehen, der da Nacht für Nacht über das Friedhofstor kletterte und in nicht wieder zurück kam.
Manche Nächte hatte die Rentnerin gewartet, aber immer wieder übermannte sie die Müdigkeit und sie schlief ein, ohne zu sehen, wann diese dunkle Gestalt den Friedhof wieder verließ.
Am anderen Morgen ist sie dann zum Friedhof gegangen, konnte aber nichts feststellen. Keine Zerstörungen, einfach nichts.
"Konrad, wir sollten vielleicht doch die Polizei holen. Da stimmt doch etwas nicht!"
Konrad schlurft zum Fenster und legte beruhigend eine Hand auf die Schulter seiner Frau.
"Was geht uns das an, Maria. Lass den armen Kerl. Du weißt doch selbst am besten, dass er harmlos ist und niemanden etwas tut. Wahrscheinlich ist sein Schmerz und seine Trauer so groß, dass er sich noch nicht mit den Tod eines geliebten Menschen abgefunden hat."
Ein verschmitztes Lächeln huschte über sein Gesicht. "Wer weiß was wir einmal anstellen werden, wenn einer von uns geht."

Frank huschte über die nächtliche Straße, den Kopf tief in seinen Mantelkragen vergraben. Es war nun schon Anfang Dezember und heute Abend war es sehr kalt. Mit Sicherheit würde es eine frostige Nacht werden. Aber das störte ihn nicht. Er würde ja bei Melanie sein und sie würde ihn wärmen. So wie in den vielen Wochen vorher.
Aus den Augenwinkel sah er die Frau, die wie jeden Tag  auf der anderen Straßenseite am Fenster stand. Aber er schenkte ihr nur wenig Beachtung. Blitzschnell griff er zu und sprang ohne Mühe über das nicht sehr hohe Friedhoftor.
Als er auf der anderen Seite stand begann er schneller zu gehen. Die letzten Meter lief er sogar zum Grab seiner toten Frau, als ginge es um seinen Kopf. Wie jede Nacht kniete er sich nieder, umschlang mit beiden Armen den Grabstein und rief laut nach Melanie. Es würde nicht lange dauern und er wird wieder ihren warmen Körper in den Armen halten.
Doch diesmal war alles anders.
"Melanie was ist los. Du fühlst dich heute so kalt an mein Engel, so - so als wärst du tot. Was ist mit dir?"
Frank schaute in das ernste Gesicht der geliebten Frau. Ihr Haut war grau. Grau wie der Gedenkstein auf ihrem Grab.
"Frank", zärtlich fuhr sie ihm durchs Haar.
"Heute wird unsere letzte Nacht sein. Ich darf nicht mehr zu dir kommen. Bitte lieb mich noch einmal, so als sei es das erste mal." 
Frank richtete sich auf und begann sich langsam auszuziehen. Der eisige Wind schien ihm nichts auszumachen. Als er nackt vor dem Grab stand flüsterte er:" Ja Melanie, so, als sei es  das erste und das letzte mal zugleich und  dann werde ich dich nie wieder verlassen. Mein eiskalter Engel, komm lass dich wärmen."

Maria schlug die Augen auf. Was war das für ein Lärm dort unten auf der Strasse. Schnell zog sie sich etwas an und sah aus dem Fenster.
Gegenüber, vor dem Friedhof, standen eine Menge Autos. Krankenwagen, Polizei und viele Leute.
"Konrad! Konrad ich hab es dir doch gesagt. Nun ist es passiert."
Ohne ihrem Mann zu erklären, was sie denn nun meinte, was da passiert sein könnte, rannt sie aus der Wohnung. Sie musste unbedingt in Erfahrung bringen, ob es was mit dem jungen Mann zu tun hatte, der jeden Abend übers Friedhofstor sprang.
Sie hatte Glück, denn vor der Haustür stand schon die Nachbarin und das war eine sichere Quelle, um alles zu erfahren. Ohne Umschweife ging sie auf die Frau zu.
"Was ist da los Frau Müller?"
Frau Müller, glücklich wieder jemanden die Neuigkeiten zu berichten. legte auch gleich los.
"Denken sie nur. Als ich heute Morgen meinen täglichen Rundgang über den Friedhof machte, sah ich dort einen Mann liegen."
Ihr Wangen röteten sich etwas, vielleicht aus Scham, vielleicht auch vor Aufregung.
"Aber er lag nicht einfach nur so da. Er hatte einen Grabstein umschlungen und war völlig nackt. Die Polizei sagt, er sei erfroren. Und das schönste kommt noch.Es war das Grab der toten Frau dieses nackten Mannes. Sie ist erst vor wenigen Monaten gestorben." 
Frau Müller machte eine kurze Pause, ehe sie Maria durch ihre dicken Brillengläser ansah.
"Ist das nicht romantisch?"
Ohne ihr zu antworten ging Maria zurück ins Haus. Auf dem Weg zu ihrer Wohnung kamen ihr die Geräusche der letzter Nacht wieder in Erinnerung. Es hatte sich wie lustvolles Stöhnen angehört und sie schienen vom Friedhof herüber zukommen. Maria schüttelte den Kopf.
"Er wird doch wohl nicht mit dem Grabstein .......?"


*E*N*D*E*




Eiskalter Engel (C) September 2002 by Heinz Oh. - Online seit:02.08.2003 - Klicks heute:1 - Klicks gesamt:1715.